Der Markt beginnt schon jetzt, auf ein mittel- bis langfristig höheres Inflationsniveau zu wetten

GFD Finanzkommunikation

Andrea, was bedeutet die neue Strategie in der Praxis für die Geldpolitik der US-Notenbank?

Andrea Giannotta: Die Federal Reserve sieht seit Jahren zwei Prozent als optimales Inflationsniveau an und versucht, dieses Ziel mit dem der Vollbeschäftigung zu verbinden. Um die Erholung der Wirtschaft noch stärker zu unterstützen, hat die US-Notenbank jetzt aber einen beachtlichen Wandel in ihrem Ansatz zur Steuerung der Inflation angekündigt. Powell sagte, die Zentralbank werde künftig einen flexiblen Durchschnitt von zwei Prozent Inflation anstreben, anstatt am festen Ziel von zwei Prozent festzuhalten. Gleichzeitig gibt die Federal Reserve kein numerisches Ziel zur Definition der Vollbeschäftigung an, sondern stellt lediglich fest, dass dies „ein breit gefächertes und umfassendes Ziel“ sei. In diese Richtung wird die US-Notenbank die Wirtschaft in den kommenden Jahren lenken: Das Beschäftigungswachstum wird das Hauptziel der Zentralbank bleiben, die jedoch die Zinssätze nicht erhöhen wird, um sich vor einer kommenden Inflation zu schützen, nur weil die Arbeitslosenquote niedrig ist. Eine höhere Inflation wird so lange toleriert, wie kein beständiges Risiko besteht, eine unerwünschte Inflationsspitze zu erzeugen.

Welche Gefahren versucht die Federal Reserve so zu vermeiden?

Andrea Giannotta: Im gegenwärtigen Umfeld mit niedrigem Wirtschaftswachstum, niedrigen Zinssätzen und niedriger Inflation wären unerwartete Schocks für die Zentralbank schwierig zu handhaben. Wenn die Federal Reserve weiter ein festes Inflationsniveau von zwei Prozent anstreben würde, müsste sie die Zinsen erhöhen, falls sie der Meinung ist, dass die Inflation über dieses Niveau hinausgehen könnte. Dies würde die Kreditaufnahme für Verbraucher und Unternehmen verteuern. Im Gegensatz dazu wird ein flexibles durchschnittliches Inflationsziel es der Federal Reserve ermöglichen, die Zinssätze länger niedrig zu halten und so das Wachstum anzukurbeln, um zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beizutragen, die neben der Preisstabilität ihr Hauptziel bleibt.

Und was sind die Folgen für die Inflation?

Andrea Giannotta: Unserer Meinung nach bringt die Umstellung auf die neue Strategie positive Auswirkungen auf die Inflation mit sich, da niedrigere Zinsen mittelfristig die privaten Konsumausgaben und damit die Inflation fördern, die nun über zwei Prozent steigen kann, ohne dass die US-Notenbank die Zinsen erhöhen muss. Unsere Erwartung basiert sowohl auf den Wachstumsdaten als auch auf den marktdiskontierten Inflationserwartungen. Schauen wir uns das annualisierte US-Bruttoinlandsprodukt für das zweite Quartal an, sind die Daten besser als von den Ökonomen erwartet ausgefallen. Dies könnte die Preise über einen relativ kurzen Zeithorizont nach oben treiben. Auf der anderen Seite zeigt der Blick auf die Fünf-Jahres-Dollar-Inflations-Swap-Rate, die ein üblicher Maßstab für die Überwachung der Inflationserwartungen des Markts ist, dass sie bei über zwei Prozent liegt und damit fast wieder bei dem in diesem Jahr bislang markierten Höchstwert. Der Markt hat also bereits damit begonnen, einen weniger rigiden Ansatz der Zentralbank und weniger negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum einzupreisen.

Wo steht die EZB in dieser Hinsicht? Erwarten Sie Änderungen beim Ziel „nahe, aber unter zwei Prozent“?

Andrea Giannotta: Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, wird eine unverändert expansive Geldpolitik betreiben, um das erklärte Inflationsziel von „nahe, aber unter zwei Prozent“ zu erreichen. Mit Blick auf die Entwicklung der Verbraucherpreise sprach sie aber von einer strategischen Überprüfung verschiedener Themen, angefangen von der quantitativen Formulierung der Preisstabilität bis hin zur Definition und Messung eines neuen Inflationsziels. Zu den verschiedenen Punkten, die womöglich in diesen Überprüfungsprozess einbezogen werden, könnte der Einfluss des Immobilienmarkts gehören, der im aktuellen Preisindex unterrepräsentiert ist. Andere Überlegungen, wie Finanzstabilität, Beschäftigung und ökologische Nachhaltigkeit, werden ebenfalls Teil der Überprüfung sein. Wir erwarten aber keine Änderung des Ziels „nahe, aber unter zwei Prozent“. Somit dürften die beiden Notenbanken künftig eine unterschiedliche Berechnungsmethodik verwenden.

Betrachten Sie diese unterschiedlichen Ansätze als problematisch?

Andrea Giannotta: Auch in der Vergangenheit hat sich die Geldpolitik von Federal Reserve und EZB stark unterschieden. So hat die US-Notenbank die Leitzinsen mehrmals angehoben, bevor sie sie auf das Niveau von jetzt 0 bis 0,25 Prozent gesenkt hat. Die EZB hingegen hat den Zins ausschließlich reduziert und den Einlagensatz in den negativen Bereich gedrückt. Vor diesem Hintergrund kann die Federal Reserve durch die Einführung eines Mechanismus zur Steuerung der durchschnittlichen Inflation immer noch eine „taubenhafte“ Geldpolitik betreiben. Andererseits wird die EZB unserer Meinung nach dem Schritt der US-Notenbank nicht folgen, da sie schon in der Vergangenheit eine äußerst „taubenhafte“ Geldpolitik betrieben hat. Letztlich könnten also die Zinsen in der Eurozone früher steigen als in den USA. Dies wird dazu führen, dass der Euro gegenüber dem Dollar aufwertet, was sich negativ auf die europäischen Exporte auswirken wird.

Um den wirtschaftlichen und sozialen Schaden durch die Coronavirus-Pandemie zu dämpfen, drucken die Zentralbanken Geld, als gäbe es kein Morgen, und die Regierungen haben riesige Konjunkturprogramme gestartet. Das sollte der Stoff sein, aus dem die Inflation gemacht ist. Was ist Ihre Meinung auf kürzere und längere Sicht?

Andrea Giannotta: Unserer Meinung nach zielen die akkommodierenden Maßnahmen der Zentralbanken und die von den Regierungen eingeleiteten Konjunkturprogramme kurzfristig darauf ab, die negativen Auswirkungen der Covid-19-Krise zu stabilisieren und eine eher strukturelle wirtschaftliche Erholung herbeizuführen. Erst langfristig werden sich diese Maßnahmen auf die Inflation auswirken können. Insbesondere glauben wir, dass die beeindruckende Menge an gedrucktem Geld in den nächsten Jahren einen positiven Einfluss auf die privaten Konsumausgaben haben wird, auch unterstützt durch eine Situation, in der die Zinsen für einen langen Zeitraum niedrig bleiben werden. Der Anstieg der privaten Konsumausgaben wird die Inflation mittel- bis langfristig in die Höhe treiben. Blickt man auf die 5-Jahres-5-Jahres-Euro-Inflations-Swap-Rate, so kann man feststellen, dass sie sich mit 1,25 Prozent dem Vorkrisenniveau und dem Jahreshöchststand von 1,35 Prozent nähert. Dies bedeutet, dass der Markt bereits jetzt beginnt, auf ein mittel- bis langfristig höheres Inflationsniveau zu wetten.

Wie sollten Investoren in dieser Situation reagieren? Welchen Mehrwert kann ein aktiv verwaltetes Portfolio aus inflationsgebundenen Anleihen bieten?

Andrea Giannotta: Mit einer positiven Sicht auf die Inflation kann ein aktiv verwaltetes Portfolio durch eine entsprechende Positionierung den Markt übertreffen. Insbesondere sind wir der Meinung, dass die Renditekurve in der Mitte und am langen Ende im Vergleich zum kurzen Ende bis zu fünf Jahren relativ günstig ist. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu betonen, dass inflationsgebundene Anleihen es den Anlegern langfristig ermöglichen, die Kaufkraft zu erhalten, selbst wenn die Inflation hoch ist und die Verbraucherpreise zu steigen beginnen. Unserer Meinung nach stellt der Mehrwert eines Portfolios von inflationsgebundenen Anleihen zusätzlich zur Outperformance eines Portfolios von nominalen Anleihen einen wichtigen Schutz dar, falls der Preisanstieg eintreten sollte.

Wie sind Sie derzeit mit Ihrem Portfolio positioniert? Welche Wertpapiere halten Sie für attraktiv, welche meiden Sie?

Andrea Giannotta: Im aktuellen makroökonomischen Kontext halten wir an der Übergewichtung französischer Anleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren (indikativer Break-even bei 0,93 Prozent) gegenüber längeren Laufzeiten fest, die bereits vergleichsweise hoch bewertet sind. In Bezug auf die Peripherieländer gewichten wir weiter italienische Anleihen mit zehn Jahren Laufzeit (indikativer Break-even bei 0,60 Prozent) über, während wir spanische Anleihen mit längeren Laufzeiten untergewichten. Positiv sehen wir auch die an die Inflation in Italien gebundenen Anleihen im Vergleich zu den traditionellen, an die europäische Teuerung gekoppelten Papieren. Wir denken, dass das gegenwärtige Ölpreisniveau eine gute Kaufgelegenheit für inflationsgebundene Anleihen darstellen könnte, um mittel- bis langfristig von einem möglichen Inflationsszenario zu profitieren. Denn eine wirtschaftliche Erholung und deren anschließende Stabilisierung würde den Ölpreis in die Höhe schnellen lassen.

Eurizon ist der Vermögensverwalter der italienischen Bankengruppe Intesa Sanpaolo. Das verwaltete Vermögen des Unternehmens lag Ende Juni 2020 bei 328 Milliarden Euro.

Kontakt für die Medien:

Jörg E. Jäger
GFD Finanzkommunikation
+49 (0)151 50479704
jaeger(at)gfd-finanzkommunikation.de

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