Verlängerung des Kurzarbeitergeldes: Zu früh entschieden

IKB Deutsche Industriebank AG

In der zweiten Jahreshälfte 2020 scheint sich die Konjunktur überraschend gut zu entwickeln. Wurde im April und Mai 2020 noch allgemein von einem deutlich tieferen wirtschaftlichen Einbruch als in der Finanzkrise ausgegangen, so deuten aktuelle Prognosen auf einen eher überschaubaren Unterschied hin. Im Jahr 2009 ist das BIP um 5,6 % eingebrochen; für das Jahr 2020 wird aktuell ein Rückgang von 6,7 % oder weniger erwartet. Auch ist das Prognoserisiko für das aktuelle Jahr mittlerweile zu vernachlässigen, da Aufholeffekte klar erkennbar sind und anhalten. So mag sich zumindest kurzfristig in der Tat eine V-Erholung bestätigen – vor allem im Verarbeitenden Gewerbe, aber auch in der gesamten BIP-Entwicklung. Trotz des verbesserten Ausblicks wurde das Kurzarbeitergeld jedoch bis Ende 2021 verlängert. Eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme oder berechtigtes Handeln?

Positive Stimmung macht sich breit – und zeigt sich bereits am Arbeitsmarkt; …

Die Produktion im Verarbeiteten Gewerbe sowie generelle Stimmungsindikatoren deuten auf eine deutliche positive Korrektur der konjunkturellen Entwicklung im dritten Quartal hin. Eigentlich hat daran auch niemand gezweifelt – es sei denn, ein zweiter nationaler Lockdown wurde erwartet, was allerdings als Basisszenario ziemlich unwahrscheinlich geworden ist. Denn inzwischen ist der Ansatz in der Pandemiebekämpfung ein regionaler und selektiver Lockdown im Falle einer zweiten Coronawelle. Ein bundesweiter „Makro Shutdown“ hingegen ist weitgehend vom Tisch. So kann insgesamt und mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die deutsche Wirtschaft im dritten und vierten Quartal robuste Wachstumszahlen zeigen wird. Der Arbeitsmarkt, der ein Nachzügler der Konjunkturerholung ist, zeigt bereits erste Anzeichen der Aufhellung. Die Anzahl der Kurzarbeiter, die von der Bundesagentur für Arbeit (BA) für den Monat Mai auf 5,8 Mio. geschätzt wurde, hat sich laut BA-Schätzung im Juni auf 5,4 Mio. reduziert.

… doch Wachstum im Jahr 2021/22 wird von vielen Facetten bestimmt

Zweifellos wird es in der zweiten Jahreshälfte 2020 zu einer deutlichen Erholung der Weltwirtschaft und damit des deutschen Exports kommen. Dabei handelt es sich allerdings vor allem um Aufholeffekte und nicht um eine sich selbst tragende Wachstumsdynamik. Die Entwicklung im kommenden Jahr ist schwer vorhersehbar. Es ist eine breite synchrone globale Erholung erforderlich, um bedeutende Wachstumsimpulse für die deutschen Exporte zu generieren und um das das BIP-Niveau von vor der Coronakrise bis Ende des Jahres 2021 zu erreichen. Die entscheidende Frage ist, ob die Wachstumsdynamik im Jahr 2021 primär von den Auswirkungen der Coronakrise getrieben wird oder eher von einer „neuer Normalität“ in der generellen Konjunkturentwicklung. Bereits im letzten Jahr und damit vor Corona konnte die deutsche Konjunktur wenig überzeugen. So war der deutsche Export seit dem zweiten Quartal des Jahres 2019 rückläufig. Die Ausrüstungsinvestitionen sind seit über 5 Quartalen rückläufig. Sicherlich hat Corona in den letzten Monaten alles in den Schatten gestellt. Doch der Ausblick für 2021/22 ist auch abhängig von der grundsätzlichen Konjunkturdynamik und Wachstumsperspektive der deutschen Wirtschaft.

Die Frage nach den Wachstumstreibern in den Jahren 2021 und 2022 ist deshalb entscheidend, weil beim Kurzarbeitergeld von einer temporären Reaktion auf die Coronakrise gesprochen wird. Kurzarbeit dient laut Überzeugung der Bundesregierung der Überbrückung eines unerwarteten wirtschaftlichen Einbruchs. Arbeitnehmer können so mit dem Unternehmen verbunden bleiben in der Erwartung, bald wieder in Vollzeit zu arbeiten. Es geht also darum, negative Effekte auf den Arbeitsmarkt zu verhindern, auch damit die Wirtschaft ihre Handlungsfähigkeit im Falle von Produktionssteigerungen nach der Krise aufrechterhalten kann – eine Politik, die sich in vorherigen Krisen bewährt hat. Sind die negativen Effekte einer Krise jedoch langlebiger, so mag Kurzarbeitergeld sich als Bremse wichtiger Anpassungen bei Löhnen und Arbeitskräften herausstellen und damit notwendige strukturelle Veränderungen verzögern. Aus dieser Sicht ist die Zahlung von Kurzarbeitergeld als Krisenmaßnahme über 2 Jahre womöglich eher kontraproduktiv. Eine steigende Arbeitslosenquote hat ja nicht nur negative Implikationen, sondern würde auch die realen Lohnkosten unter Druck setzen und so die mittelfristige Fähigkeit der Wirtschaft steigern, produktive, nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen. Gerade im Kontext der steigenden realen Löhne der letzten Jahre mag eine Lohnanpassung eher angebracht sein als Lohnsubventionierung durch den Staat.

Überzogene Anzahl von aktuellen Anträgen für Kurzarbeit

In der Tat scheinen Unternehmen im Kontext des Shutdown und des befürchteten Einbruchs viel aktiver und früher Kurzarbeitergeld beantragt zu haben als in der Finanzkrise. Gemäß der Bundesagentur für Arbeit (BA) gingen im März und April 2020 insgesamt 10,7 Mio. Anträge auf Kurzarbeit ein. Im Vergleich zu der geschätzten Anzahl an tatsächlich geleisteter Kurzarbeit deutet dies auf eine mögliche Überreaktion der Unternehmen hin. Denn gerade im Kontext der erkennbaren Erholung dürften sich nicht nur die Anmeldungen, sondern auch die faktische Menge der Kurzarbeit als möglicherweise übertrieben herausstellen. Sprich: Das Korrekturpotenzial in den kommenden Monaten könnte hoch sein, der Bedarf an Kurzarbeit könnt stark nachlassen, weil sich die Konjunktur im dritten Quartal deutlich erholt hat und die Kurzarbeit gemäß BA bereits rückläufig ist.

In der Finanzkrise war die Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld bis auf ein Niveau von knapp unter 1,5 Mio. angestiegen. In der aktuellen Krise lag das entsprechende Niveau knapp unter 6 Mio. (5,9 Mio. im April 2020). Das BIP gab in der Finanzkrise zwischen dem vierten Quartal 2008 und dem ersten Quartal 2009 um rund 6,3 % nach. In der ersten Hälfte von 2020 lag der Rückgang bei fast 12 %. Der Einbruch beim BIP war also in der Coronakrise ungefähr doppelt so stark, die tatsächliche Kurzarbeit vervierfachte sich hingegen. Auch die konjunkturelle Erholung in der zweiten Jahreshälfte 2020, die für das Gesamtjahr zwar zu einem BIP-Rückgang in Deutschland führen wird, der allerdings nicht viel stärker ausfallen wird als in der Finanzkrise, spricht für eine überzogene Anzahl von Anträgen auf Kurzarbeit und signalisiert ein deutliches Korrekturpotenzial in den kommenden Monaten.

Das Kurzarbeitergeld subventioniert die Lohnkosten. In der Finanzkrise war der von den Unternehmen gezahlte Lohnzwischen dem vierten Quartal 2008 und dem ersten Quartal 2009 um rund 1,5 % zurückgegangen. In der ersten Hälfte von 2020 betrug der Rückgang 6 % – wiederum ein Faktor von 4, der konsistent mit der Entwicklung der Kurzarbeit ist. Die Kurzarbeiterregelung hat zwar die von den Unternehmen zu zahlenden Löhne reduziert, aufgrund der einbrechenden Produktion und der damit einher gehenden sinkenden Produktivität sind die Lohnstückkosten der Unternehmen im zweiten Quartal 2020 dennoch deutlich gestiegen. Diese Entwicklung war analog zu der in der Finanzkrise. Verglichen mit der Entwicklung der Lohnkosten ist die aktuelle Auslastung der Kurzarbeiterregelung demnach nicht unbedingt als deutlich übertrieben einzuschätzen. Der erwartete Anstieg des BIP im dritten und vieren Quartal 2020 wird die Lohnstückkosten allerdings deutlich reduzieren, und so auch die Rückführung der Kurzarbeit ermöglichen. Gibt das deutsche BIP im Jahr 2020 um 6,7 % nach, zeigt jedoch die erwartete Erholung im dritten und vierten Quartal 2020, wären die Lohnstückkosten bei gleichbleibenden Löhnen bis Ende des Jahres wieder auf dem

Vorkrisenniveau von Ende 2019. Solch ein schneller Rückgang in den Lohnstückkosten hat es selbst nach der Finanzkrise nicht gegeben. Das zeigt aber, wie schnell eine sich erholende Konjunktur für eine Reduzierung der Kurzarbeit sorgen kann.

Wie lange wird das Kurzarbeitergeld genutzt?

Heute wie in der Finanzkrise ist die BIP-Entwicklung nach dem Einbruch für die Entwicklung am Arbeitsmarkt entscheidend. Ausschlaggebend ist also aktuell vor allem das Jahr 2021. Allgemein wird erwartet, dass die deutsche Produktion erst Ende 2021 wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Spätestens bis dahin wäre also eine komplette Abschaffung des Kurzarbeitergeldes wünschenswert. Denn mit BIP und Löhnen auf Vorkrisenniveau würden sich auch die Lohnstückkosten wieder normalisieren und die Coronakrise wäre in diesem Punkt abgearbeitet. Da Lohnstückkosten über Zeit tendenziell ansteigen, wäre sogar ein früheres Ende der Subventionierung von Lohnkosten durch Kurzarbeitergeld gerechtfertigt.

Auf Basis der BIP-Entwicklung und IKB-Schätzungen ist im zweiten Quartal 2020 von einer Überkapazität an Arbeitnehmern von rund 3 Mio. auszugehen, eine Zahl, die weit höher ist als in der Finanzkrise 2009. Damals waren rund 1 Mio. Arbeitnehmer betroffen. Auf Grundlage dieser Schätzungen kann aktuell von einem deutlich höheren Anstieg an notwendiger Kurzarbeit im Vergleich zur Finanzkrise ausgegangen werden. Allerdings dürfte die erwartete Erholung im dritten und vierten Quartal 2020 diesen Überschuss bis Ende des Jahres auf 1,3 Mio. reduzieren. Dies ist ein deutlich stärkerer Rückgang als nach der Finanzkrise (Rückgang von rund 60 % versus knapp über 40 %) und ist auf stärkere Aufholeffekte der Wirtschaft zurückzuführen. Mit dem Erreichen des Vorkrisen-BIP-Niveaus Ende des Jahres 2021 wäre die Gefahr eines Stellenabbaus weitestgehend abgebaut. Bei weniger positiven Wachstumszahlen und dem Erreichen des Vorkrisenniveaus erst im Verlauf des Jahres 2022 oder später wäre dies natürlich nicht erreichbar. Doch die Frage wäre dann, ob das schwache Wachstum auf die Coronakrise oder eher als „neue Normalität“ aufgrund anderer Entwicklungen zu sehen wäre. Nach der Finanzkrise dauerte es 9 Quartale, bis das BIP sein Vorkrisenniveau erreichte. Allerdings hat die anschließende Eurokrise die Erholung der Wirtschaft nachhaltig beeinflusst. Die Anzahl der Kurzarbeiter relativierte sich dennoch relativ schnell.

Einschätzung – Verlängerung des Kurzarbeitergelds zu früh beschlossen

Die Coronakrise ist nicht nur ein kurzfristiger Schock, sondern birgt das Potenzial eines ungewollten Katalysators für Veränderungen, die einen nachhaltigen Einfluss auf Volkswirtschaften haben könnten und so eine „neue Normalität“ schaffen. In diesem Falle ist eine flexible und anpassungsfähige Volkswirtschaft erforderlich, die sich der neuen Normalität stellt und annimmt, um perspektivisch zu alten Wachstumsdynamiken zurückkehren zu können. Die Wirtschaftspolitik muss in diesem Umfeld den Spagat vollbringen, kurzfristig negative Effekte zu neutralisieren, um nachhaltige Schäden zu verhindern, gleichzeitig aber auch notwendige Anpassungen nicht zu verhindern. Wird das Konjunkturrisiko für 2021 als hoch und vor allem immer noch als Auswirkung der Coronakrise eingeschätzt, mag Kurzarbeitergeld bis maximal Ende des Jahres 2021 gerechtfertigt sein – allerdings nur unter diesen Annahmen. Erholt sich die Konjunktur so schnell, wie aktuelle Prognose andeuten, dürfte sich die aktuelle Ausweitung der Kurzarbeit als übertrieben herausstellen. Da es Anzeichen einer Übertreibung gibt, die sich allerdings bereits im Jahr 2020 relativieren sollte, ist eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes auf Grundlage aktuell hoher Zahlen unangebracht. Es wäre sinnvoller gewesen, diese Entscheidung erst Ende des Jahres 2020 zu treffen, wenn die konjunkturelle Entwicklung des Jahres 2021 besser absehbar ist.

Ansprechpartner in der IKB Deutsche Industriebank AG
40474 Düsseldorf
Wilhelm-Bötzkes-Straße 1
Telefon +49 211 8221-0
Dr. Klaus Bauknecht
Volkswirtschaft
Telefon +49 211 8221-4118

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